Wolfgang Schiller

Wolfgang Schiller (1930-2009)

"Sie sind alle freiwillig hier und können auch freiwllig wieder gehen"
Wolfgang Schiller (1985)

Protagonist
WOLFGANG SCHILLER
Der laute Hardliner

Der Name des dritten Einheitsführers der GSU ist bis heute mit wichtigen Ereignissen verknüpft.

So führte er die Truppe mehrfach aus Schieflagen, baute die Hundestaffel aus, sorgte für moderne Schichtpläne und führte die Einheit zweimal in neue Militärstrukturen - bis hin zur Einbindung in die Militärpolizei.

Ein nicht unumstrittener Mann, dessen vorzeigbaren Pläne letztlich nur durch den Fall der Berliner Mauer politisch ausgebremst wurden. Ein Löwe, ein Hardliner, oftmals laut und brüllend – dennoch eine der prägendsten Personen in der Geschichte der German Security Unit.
Im Mai 1930 wird er noch zuzeiten der Weimarer Republik im niederschlesischen Breslau geboren. In einer Stadt, die erst zwei Jahre zuvor durch umfassende Eingemeindungen mehrerer Städte und Gemeinden gewachsen ist. Im Deutschen Reich wird sie schließlich als achtgrößte Stadt verzeichnet.

Über das Privatleben des späteren GSU-Offiziers ist bis heute wenig bekannt – auch nicht über sein Elternhaus und seine frühen Lebensjahre. Fest steht: Wolfgang Schiller hatte mindestens eine Schwester und begann nach seiner Schulzeit eine Lehre als Schuhmacher.

Im Mai 1945, nur wenige Tage vor dem Kriegsende und ebenfalls nur wenige Tage vor seinem 15. Geburtstag, wurde Schiller noch zum Volkssturm herangezogen, in dem alle „waffenfähige Männer“ als letzte Verstärkung der Wehrmacht rekrutiert wurden. Schillers Alter macht deutlich, wie nahe der Zusammenbruch des Hitlerregimes doch war, denn gemäß des „Führerbefehls“ über die Aufstellung des Volkssturms vom 25. September 1944, wären eigentlich erst Personen heranzuziehen gewesen, die das 16. Lebensjahr erreicht haben.

Bereits in dieser Zeitphase zeigt  sich in Schillers Vita, dass es zu wenige belegte Quellen zum Lebenslauf des späteren Einheitsführers gibt. Nach eigenen Angaben, die er im Rahmen seiner Einstellung beim damaligen Watchmen’s Service 1950 abgab, diente er nach seiner Zeit im Volkssturm noch für wenige Wochen beim Reichsarbeitsdienst. Dieser Umstand ist jedoch strittig, da der Reichsarbeitsdienst grundsätzlich keine Jugendlichen unter 18 Jahren verpflichtet hat.

Ebenfalls ist seine nicht selten getätigte Angabe, mit dem Eisernen Kreuz und dem Panzervernichtungsabzeichen ausgezeichnet worden zu sein, aus heutiger Sicht nicht mehr belegbar, auch wenn es in Gänze nicht ausgeschlossen werden kann und soll. Zwar ist bekannt, dass gerade in den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs solche Orden und Auszeichnungen oft nahezu unkontrolliert zur Aufrechterhaltung von Moral und Disziplin ausgegeben wurden, dennoch: Die Freiburger Abteilung Militärarchiv des Bundesarchivs verfügt über keinerlei Einträge zu Wolfgang Schiller.
 
Im Juni 1945 schied er, inzwischen 15jährig, aus den Wehrmachtsverbänden aus und beendete seine Lehre als Schuhmacher.
Schiller (rechts) 1953 mit Lehrgangskameraden

Ein Mann der ersten Stunde

Welche Umstände ihn letztlich in die Mitte der Britischen Streitkräfte führten, bleibt bislang ebenfalls ein Rätsel - doch am 1. Dezember 1950 gehörte Wolfgang Schiller zu den ersten mehr als 300 Rekruten der späteren German Security Unit, die ihren Dienst im neu aufgestellten Watchmen´s Service der damaligen German Service Organisation (GSO) antraten.

Die GSO selbst war ebenfalls erst wenige Wochen zuvor, im Oktober 1950, aufgestellt worden und ging aus der German Civil Labour Organisation hervor.
Die Dienststelle war neu – nicht nur in ihrer Art, denn die uniformierten und bewaffneten Wachleute stachen schon immer im Pool der GSO-Formationen hervor. Die Einheit wurde mit einer Gesamtstärke von 350 Mann in zwei Kompanien mit jeweils vier Zügen aufgestellt und stand unter dem Kommando des britischen Majors Steel.

Der eingesetzte deutsche Einheitsführer, Chief Superintendent Meiners, diente zur damaligen Zeit nur als „Ausführender“, da die Vorbehalte der Siegermacht Großbritannien gegenüber den besiegten Deutschen, noch mehr als getrübt war. Mit der Indienststellung der Truppe lag es nun in der Hand der „Männer der ersten Stunde“, die Briten zu überzeugen – was letztlich auch relativ schnell gelang.

Von einer etwa sechswöchigen Grundausbildung ausgehend, wird der Watchmen´s Service etwa Ende Februar, vermutlich aber zum 1. März 1950 den Wachbetrieb übernommen haben. Wolfgang Schiller, der nach seiner erfolgreichen Ausbildung zum Tradesman II befördert und in die 2. Kompanie versetzt wurde, gehörte zu jenen, die sich fortan um den Schutz der wichtigsten Objekte der Briten in Berlin zu kümmern hatten – vornehmlich um Kohlelager, da Kohle die damals wichtigste Ware darstellte. Bereits ein Jahr später, am 1. März 1951, wurde Schiller zum Tradesman I befördert.

1952 startete er eine durch Leidenschaft geprägte Karriere innerhalb der GSO – als Diensthundführer. Im selben Jahr setzte nämlich Staff Superintendent Johannes Gohl, der 1952 neuer Einheitsführer wurde, sein erstes großes Projekt durch und ließ eine Hundestaffel errichten, die zu Beginn über zehn Tiere verfügte, welche am britischen Stützpunkt Sennelager bei Paderborn in Nordrhein-Westfalen als Schutzhunde ausgebildet wurden.

Schiller gehörte neben weiteren Kameraden, unter ihnen auch Karl-Heinz Falk, zu den Absolventen des zweiten Ausbildungslehrgangs. Insgesamt betrachtet, passte der damals 22jährige Hundeführer genau in die Zielgruppe der neuen Staffel. Er galt soldatisch als „unbefleckt“, war jung und sportlich und verfügte zudem über gute Englischkenntnisse. Letzteres war vor allem wegen der nach britischem Muster durchgeführten Ausbildung, ein großer Vorteil.

Darüber hinaus war in den 1950er Jahren der Wechsel in die Hundestaffel auch aus taktischen Gründen durchaus von Vorteil, denn das Beförderungssystem bremste „Nicht-Hundeführer“ bereits nach der ersten Höhergruppierung sehr leicht aus. Grund war der Umstand, dass der Watchmen´s Service, auch seiner reinen Übersetzung nach, in der ersten Phase seines Bestehens, tatsächlich nicht mehr war als eine reine Wachmannschaft darstellte. Deren Angehörige hatten als „Rifle man“ – frei übersetzt als Gewehrträger – nichts anderes zu tun als den Schutz der Liegenschaft der Britischen Streitkräfte zu gewährleisten. Somit war auch mit dem Erreichen des „ersten Balkens“ grundsätzlich auch schon wieder die Endstufe erreicht. Einzige Ausnahme bildete in der Anfangszeit tatsächlich nur das Überspringen eines Dienstgrades, was in Einzelfällen auch vorkam - oder der Wechsel in die Hundestaffel.

Auch wenn es sich nach formaler Definition um keine Staffel gehandelt hat, so stellte sie einen großen Anziehungspunkt innerhalb der Einheit dar. Foreman Gerhard Jabs, der nicht nur das organisatorische der neuen Truppe steuerte, sondern auch oftmals die qualifizierten Männer persönlich ansprach und aussuchte, sorgte rasch dafür, dass der „Hundezug“ sehr schnell zum Aushängeschild des Watchmen´s Service wurde.
Schiller (rechts) beim Hundeführerlehrgang (1953)

Cicero

Wolfgang Schiller, so erinnern sich Zeitzeugen, beschrieb seine Phase als Hundeführer als die glücklichste seiner GSU-Laufbahn.

Seit 1952 ging er schließlich mit „Cicero“, einem jungen deutschen Schäferhund, auf Streife. Am 24. Oktober 1955 wurde er zum Senior Dog Handler befördert – ein Sprung, der „Nicht-Hundeführern“ vorenthalten war.

Auch finanziell war der Sprung zur damaligen Zeit beachtlich. Schiller verdiente durch seine Beförderung monatlich 305,- DM, zuzüglich von Zulagen, die er u.a. als Hundeführer erhielt.

Dasselbe Jahr, 1955, brachte jedoch starke Unruhen in die Einheit, die unerwartet auf 156 Mann reduziert wurde und schließlich auf eine Kompanie schrumpfte. Zudem gab es wegen des Aufbaus der Bundeswehr sowie des Berliner Hilfspolizeiwachdienstes, starke Abgänge zu verzeichnen.

Für einige Männer des Watchmen´s Service bildete dies jedoch eine große Chance, die auch Wolfgang Schiller nutzte, in dem man zudem ein starkes Talent erkannte. 1956 musste sich Schiller schließlich von „Cicero“ trennen, der nunmehr einem neuen Hundeführer zugeordnet wurde. Am 15. Dezember wurde er zum Foreman befördert und als Diensthabender vom Wachdienst eingesetzt. Die Hundestaffel, der er nunmehr nicht mehr angehörte, behielt er aber stets im Blick, was sich Jahre später auszahlen sollte.

Staff Superintendent Gohl war Schillers Potential nicht entgangen, weshalb er ihn als „Mann mit Zukunft“ fokussierte und somit auf ihn setzte. Am 16. Januar 1959 beförderte er Schiller, mit gerade 28 Jahren, zum Head Foreman, dem höchsten Dienstgrad der Unteroffiziere des Watchmen’s Service. Schiller übernahm den wichtigen Pisten des Diensteinteilers, was für ihn auch bedeutete, oftmals „zwischen den Stühlen“ zu stehen – also zwischen Einheitsführung und Mannschaft. Ein durchaus undankbareres Betätigungsfeld.

Doch Head Foreman Schiller bewährte sich und wurde bereits im April 1962 in die Gehaltsstufe „B 6/5“ eingruppiert, was ihm ein Grundgehalt von 801,- DM einbrachte.

In den späten 1950er Jahren war die verbliebene Kompanie des Watchmen´s Service noch immer in Zügen aufgestellt, die wiederum Zugführern unterstellt waren. Die Funktion des „Diensthabenden vom Wachdienst“ ähnelte somit eher der eines "Führungsgehilfen im Außendienst". Eine Bedeutung dieser Funktion, so wie sie ab den 1970er Jahren bestand, gab es noch nicht. Daher übernahm Schiller mit dem Posten des Diensteinteilers erstmals eine Funktion, in der er Stärke und Durchsetzungsvermögen offenlegen musste. Es war mehr als eine Bewährungsprobe, in die der junge Unteroffizier durch Gohl mit Sicherheit nicht unbewusst geführt wurde. 

Gohl und Schiller. Unterschiedlich konnten damalige Protagonisten nicht sein. Der eine, Gohl, war Offizier durch und durch – zudem ein von der Pike auf „gelernter“ Soldat mit Kampferfahrung im Zweiten Weltkrieg. Als Gruppen- und Zugführer, als Bataillons- und schließlich Regimentskommandeur hatte der zweite Einheitsführer eine Menge Kenntnis über Menschenführung vorzuweisen. Er galt stets als der richtige Mann, der zur richtigen Zeit den richtigen Posten übernahm. Hart in der Sache und dennoch stets fair und beliebt.

Der andere, Schiller, hatte weder eine echte soldatische Erfahrung und schon gar kein Offizierspatent vorzuweisen. Insofern fehlte ihm auch jeglicher Hintergrund über Menschenführung. Doch wer davon ausging, dass er deshalb für Führungsaufgaben ungeeignet schien, der irrte. Selbst Gohl, der Schiller persönlich nicht besonders nahe stand, erkannte dennoch dessen Talent. Und die Zeit schien zu drängen, denn das Jahr 1968 stellte den Watchmen´s Service erneut vor große Herausforderungen, in die Gohl Schiller mit einbezog.

In seiner 16jährigen Amtszeit als Einheitsführer hat es Gohl geschafft, seine Truppe zu einem geachteten und durchaus erfolgreichen Teil der Britischen Streitkräfte zu formieren – und das auch mit dem Hintergrund, ständig wechselnden Regimentern zugeordnet zu werden. Sein persönliches Meisterstück hat Gohl 1968 tatsächlich realisieren können. Der bisherige Watchmen´s Service wurde durch die Briten offiziell in den Status einer Security Guard Unit, also einer Wachpolizei, angehoben – und das mit allen rechtlichen Konsequenzen.

Noch im selben Jahr erfolgte der formale Wechsel: Aus den bisherigen Wachmännern wurden Wachpolizisten, die sogar Befugnisse des unmittelbaren Zwanges erhielten. Unter dem neuen Einheitsnamen „German Service Unit (Berlin)“, erstmals in Kurzform als GSU bezeichnet, wurden sie somit mit erweiterten Kompetenzen des allgemeinen Polizeirechts ausgestattet. Aber das waren Dinge, die nicht mehr in die gohlsche Ära fielen, obgleich der ehemalige Wehrmachts-Major der Einheit noch gerne weiter vorgestanden hätte. Doch mit Erreichen der Altersgrenze, schied Johannes Gohl schweren Herzens aus dem Amt.
Staff Superintendent Wolfgang Schiller (1969)

Neuer Einheitsführer

Es ist nicht überliefert, ob es eine Empfehlung Gohls oder ganz andere Gründe gab – dennoch schien es schon fast logisch, dass Wolfgang Schiller, den Gohl seit vielen Jahren gefördert und noch am 11. Januar zum Superintendent und somit zum Offizier ernannt hatte, mit gerade 38 Jahren die Position des neuen Einheitsführers übernahm.

Nach einer fast 19jährigen Dienstzeit hatte Schiller die Spitzenfunktion der GSU erreicht und nur ein Jahr später zudem den höchsten Dienstgrad. Er war somit in der Geschichte der Einheit der einzige Dienststellenleiter, der die gesamte Laufbahn absolvierte und nicht direkt in einem Offiziersrang übernommen wurde – so wie es bei seinen Amtsvorgängern Meiners und Gohl der Fall war.
Für Schiller war das Jahr 1968 auch deswegen nicht unwichtig, weil es eine große Pensionierungswelle gab. Nahezu alle wichtigen Führungsoffiziere verließen die Einheit. Andere wiederum mussten – bis in den Bereich der Unteroffiziere – mit Rückstufungen rechnen, da es einen Wehmutstropfen mit Aufstellung der neuen German Service Unit gab: Das bisherige Zugmodell wurde aufgehoben, welches schließlich zur Bildung von Sektionen führte. Diese wurden nicht mehr von Superintendenten als Zugführer geleitet, sondern von Unteroffizieren im Range eines Foreman geführt, die zugleich die Funktion des Diensthabenden vom Wachdienst übernahmen. Zahlreiche Offiziere wurden somit überflüssig.

Und noch was änderte sich: Mit dem neuen Namen kamen neue Ärmelabzeichen und Ränge, die eine erkennbare Security-Guard-Laufbahn aufwiesen. Selbst der hohe Rang des Chief Superintendent, der als Kompaniechef oder Stabsoffizier fungierte, wurde auf eine einzige Planstelle reduziert – die des stellvertretenden Einheitsführers, der zugleich Chef des Wachabteilung war. Die gesamte Organisationsstruktur wurde umgekrempelt.

Zudem verlor die Einheit nach 1952 weitere ihrer Gebäude in der Spandauer Standortkaserne Smuts Barracks, womit sich das Hauptgeschehen auf den Kitchener Block, den meisten Ex-Guards heute eher noch schlicht als „Block 34“ bekannt, fokussierte. Ob Wolfgang Schiller zielgerichtet auf die Zusammenstellung seiner Führungscrew nehmen konnte, ist nicht überliefert aber wahrscheinlich. Da mit dem Weggang Gohls auch sein Vize, Chief Superintendent Hans Horn, nach einem Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht seinen Abschied nahm, war auch dessen Stelle vakant.

Superintendent Heinz Radtke, der den Vertreterposten bereits kommissarisch übernommen hatte, blieb in dieser Verwendung und wurde ein Jahr später offiziell berufen – unter gleichzeitiger Beförderung zum Chief Superintendent. Auch alle übrigen Führungspositionen wurden neu besetzt. Schiller selbst, noch im Range eines Superintendent stehend, wurde am 1. Januar 1969 ebenfalls zum Chief Superintendent und schließlich am 1. September desselben Jahres, zum Staff Superintendent  – und somit in das höchste Spitzenamt befördert.

Wie auch einst Johannes Gohl als der richtige Mann zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle gesetzt schien, so galt dies auch für Wolfgang Schiller, als dieser das Kommando übernahm. Der neue Einheitsführer war weniger Offizier als Gohl, doch weitaus mehr ein Mann der Zukunft. Sein Wirken war strukturiert und kompetent, vor allem taktisch auf die Außendarstellung der GSU ausgerichtet. Auch wenn er weniger militärisch und mehr zivil agierte, so verfolgte Schiller Pläne, die sich auszahlen sollten.

Ein wesentliches Augenmerk richtete er als ehemaliger „Dog Handler“ auf die Diensthundestaffel, die unter seiner Ägide auf 30 Tiere aufgestockt und zunehmend zu einem Aushängeschild der Einheit wurde. Und tatsächlich war die Vierbeinertruppe anerkannt und gefürchtet. Zudem holten die Hundeführer mit ihren Schnüffelnasen zahlreiche Auszeichnungen bei internationalen Vergleichswettkämpfen – sehr zum Gefallen Wolfgang Schillers.
 
Das seitens der Militärregierung gesetzte Vertrauen in den neuen Einheitsführer war elementar – aber auch Anspruch und Vorgabe, Turbolenzen künftig zu verhindern. Eine große Aufgabe Schillers, die er auch relativ lange problemlos umsetzen konnte. Die Briten bauten auch weiterhin auf eine vorzeigbare Einheit, die bereits Akzente setzte und sich schon damals wesentlich von der US-amerikanischen Schwestereinheit, der später in 6941st Guard Battalion umbenannten Truppe, abhob.

Doch Schiller hatte auch mit Kontrollmechanismen zu kämpfen. So wurde der Tatbestand der „Disziplinlosigkeit“ neu in den Katalog der Disziplinarmaßnahmen aufgenommen und zudem musste er über sich ergehen lassen, dass die Stelle eines britischen Verbindungsoffiziers eingerichtet wurde, der sein Büro im Block 34 bezog – und somit „Tür an Tür“ mit dem Staff Superintendent saß. Auch wenn es sich bei diesem Verbindungsoffizier tatsächlich nur um einen Unteroffizier handelte, der gegenüber Schiller auch nicht weisungsberechtigt war, so ahnte und fühlte er dessen eigentlichen Kontrollauftrag.

Doch wer davon ausging, dass Schiller mit dieser Situation nicht umgehen konnte, sollte enttäuscht werden. Der erste Verbindungsoffizier, Terry Clift, war ein höflicher und freundlicher Militärpolizist, der sich mit der neuen Führungscrew Schiller/Radtke hervorragend verstand. Mehr noch: Wolfgang Schiller wuchs über sich hinaus und mauserte sich zu einem taktisch klugen Vermittler, Verhandlungsgenie und anerkannten Verwaltungsmenschen. In diesem Fall war es sogar von klarem Vorteil, dass das Spitzenamt nunmehr nicht durch einen kampferfahrenen Haudegen, sondern von einem besonnenen „Einsatz- und Personalmanager“ besetzt war.

Ob nun bewusst oder nicht: Wolfgang Schiller hatte es geschafft, in der German Service Unit mit dem neuen Jahrzehnt auch eine andere und moderne Zeitphase einzuläuten, die auch durchaus notwendig war. Er raufte er sich auch mit den Betriebsratsvertretern zusammen. Es war dem Staff Superintendent wichtig, entscheidende Verbesserungen für seine Beschäftigten zu erreichen und deren Motivation und innere Identität zur Truppe zu stärken – ohne einen überzogenen Chorgeist seiner Männer zu entfachen, die sich noch immer nicht gewerkschaftlich organisieren durften. Schließlich konnten beide Vertragspartner, Betriebsrat und Einheitsführung, optimierte Dienstplan- und Ausbildungsmodelle auf den Weg bringen, was zu einer sehr hohen Akzeptanz in der Truppe führte.
Schiller (Mitte) mit Stadtkommandant Brooking (rechts) bei der Verabschiedung von Heinz Radtke (1988)

Das letzte Aufbäumen

Auch gegenüber der britischen Seite konnte er punkten. Seit den 1970er Jahren ist er mit jedem Stadtkommandanten zusammengetroffen und hat „seine GSU“ stolz in den Fokus gerückt.

Schillers Ärgernis lag ganz woanders: Ihm missfiel, wie auch schon seinem Vorgänger Johannes Gohl, die ständig wechselnde Regimentsanbindung. Alleine bis 1982 stand er sechs verschiedenen britischen Befehlshabern gegenüber, die wiederum auch unterschiedlichen Regimentern angehörten.

Vermutlich hatte er bereits damals ein festes Ziel vor Augen.
Schiller führte die GSU mit militärischem und zugleich verwaltungsorientiertem Stil und strebte an, die Einheit noch mehr zu einer modernen Polizeitruppe zu formen. Dies gestaltete sich schwer, weil er sich mit Heinz Radtke immer wieder neu auf die jeweiligen Befehlshaber einzustellen hatte.

Talent und Fähigkeit Schillers blieben aber nicht unerkannt, und so erhielt er am 14. April 1978 Post aus Bonn. Der damalige britische Botschafter Sir Oliver Wright ließ dem Staff Superintendent mitteilen, dass ihn Königin Elisabeth II mit der fünften Stufe des Ritterordens ausgezeichnet hat. Als „Member“ des Ordens The Most Excellent Order of the British Empire führte er fortan den im englischsprachigen Raum üblichen Namenszusatz „MBE“. Schiller selbst bezeichnete diese Ehre stets als Auszeichnung für alle Angehörigen seiner Einheit.

Aber 1978 war bereits ein Jahr, in dem Schiller in seiner Einheit nicht mehr als unumstritten galt. Die Moderne hatte den Staff Superintendent, der sich oft nur noch brüllend gegenüber Nachgeordneten durchsetzen konnte, beinahe überholt. Zu sehr und schnell hatte Schiller ein Paradigma vollzogen. Eine ursprünglich rein militärisch strukturierte Einheit in eine eher zivil ausgerichtete Polizeitruppe zu formen, hätte weitaus mehr Zeit benötigt und zusätzlich qualifizierte Protagonisten erfordert. Doch Schiller setzte stattdessen oft auf Männer in der ersten Reihe, die weder im Bereich der Menschenführung noch autodidaktisch Befähigungen vorzuzeigen hatten. So entfernten sich auch enge Wegbegleiter, u.a. Schillers Vize Heinz Radtke, immer mehr vom Einheitsführer. Schiller selbst wirkte oftmals eher arrogant - was jedoch tatsächlich nicht der Fall war. Klare Ansagen an Nachgeordnete verfehlten ihre somit Wirkung. Der Satz "Sie sind alle freiwllig hier und können auch freiwillig wieder gehen", gehörte schließlich zu den bekanntesten, der doch mehr eine pure Hilflosigeit aufzeigte.

Eine zusätzliche Pensionierungswelle überzog die Einheit, die damit auch viele Angehörige verlor, die noch über soldatische Erfahrungen verfügten. Auf Männer wie Ernst Voigt oder Robert Rühe, musste Schiller fortan verzichten. Zudem litt auch das hart erkämpfte Vertrauensverhältnis zwischen Schiller und Betriebsrat erkennbar, was im Ergebnis auch den Unmut in der Truppe wachsen ließ.

Daran änderte auch der Umstand nichts, dass der britische Brigadeführer Thomas McMicking 1978 erstmals fünfstufige Leistungsauszeichnungen für die German Service Unit stiftete. Zum einen sollte dies zur Stärkung von Moral und Identität führen, zum anderen verstand es der Brigadier als ein falsches Signal, ausschließlich den Einheitsführer mit einem königlichen Orden zu ehren – während seine Männer unberücksichtigt blieben. Eine damals außerordentliche Geste, auch wenn es im Grunde genommen kaum etwas in der Sache verändert hatte.

Im selben Jahr erhielt die GSU auch eine neue Kopfbedeckung. Die klassische „Heimkehrer-Mütze“, die die Wachpolizisten seit den 1950er Jahren trugen, wurde durch ein dunkelblaues Barett ersetzt. Die Farbgebung steht bis heute für mehrere Formationen der Infanterie, aber auch für das Sea Cadet Corps und die Royal Marines.
Wolfgang Schiller MBE (1994)

Der Weg in die Militärpolizei

1982 allerdings, konnte Wolfgang Schiller einen nahezu unglaublichen Erfolg vermelden, den er persönlich forcierte: Zum 1. April wurde seine Einheit in das wieder aufgestellte 2. Regiment der Royal Military Police integriert.

Im Oktober erfolgte zudem die Umbenennung in „248 German Security Unit – 2 Royal Military Police“.  Ein förmlicher Paukenschlag, der einen der größten Erfolge in der Einheitsgeschichte der GSU darstellte.

Und mehr noch: Schiller hatte Mitte der 1980er Jahre die Entscheidung über die künftige Kompanieausrichtung der GSU zu treffen. Der Staff Superintendent plädierte klar für eine polizeiliche Ausrichtung, was vor allem „militärisch“ geprägte Kritiker auf den Plan riefen - auch der Umstand, dass der Begriff "Einheitsführer" laut- und klanglos durch die Funktionsbezeichnung "Dienststellenleiter" verdrängt wurde.

Mit der geplanten Ausrichtung waren auch Überlegungen zur Neugestaltung der Rangabzeichen und auch die Modifizierung der bisherigen Dienstkleidung, inklusive der Einführung einer an die Militärpolizei angepassten Gala-Uniform verbunden. Letzteres vor allem deshalb, weil die German Security Unit immer mehr bei Paraden und offiziellen Ereignissen eingebunden wurde.
Schiller kniete sich, anerkannter Weise auch für seine Männer, wieder verstärkt in die Materie und nahm sich der zu lösenden Probleme an. Ein Ausruhen wegen des Achtungserfolgs gab es für Schiller nicht.

Immer häufiger übernahm er sogar Schichten als Diensthabender von Wachdienst und beteiligte sich an Manövern. Und auch wenn es zu den planerischen Umsetzungen in der Außendarstellung der German Security Unit nicht mehr kam – so änderte sich eines dennoch sichtbar: 1982 erhielten Wolfgang Schiller und  Heinz Radtke das rote Barett und das Stable Belt der britischen Militärpolizei, welche sie fortan tragen durften – auch wenn Chief Superintendent Radtke dieses Recht nur sehr selten in Anspruch nahm.

Aus heutiger Sicht kann man feststellen, dass es für Schiller und seine Einheit gerade in den 1980er Jahren nochmals bergauf ging. Letztlich wurde der Staff Superintendent nur durch einen einzigen Umstand ausgebremst: Den Fall der Berliner Mauer.

Mit dem daraus resultierenden Einheitsprozess und dem Abzug der alliierten Streitkräfte, verblieb Wolfgang Schiller mit seiner letzten Führungscrew lediglich die bittere Aufgabe, die German Security Unit 1994 abzuwickeln. Damit zerschlug sich auch ein ganz persönliches Vorhaben des Staff Superintendents, der rangmäßig einem Major entsprach. Er erhoffte sich durch den Aufschwung auch eine personelle Stärkung der German Security Unit, um die Position eines Senior Staff Superintendenten zu erreichen. Diesen Rang gab es bisher nur ein einziges Mal bei einer westdeutschen Einheit, die jedoch einen weitaus größen Personalbestand aufwies. Schiller wollte vor allem Klaus Bartels, Lieutenant Colonel und Chef des 6941st Guard Battalions, im Dienstgrad nichts nachstehen. Doch es kam anders.

Letztlich wurde ihm, der die Einheit in drei unterschiedlichen Organisationsstrukturen begleitete und überwiegend selbst führte, seitens der britischen Verwaltung auch verwehrt, die 1994 aus GSU-Angehörigen formierte BRIO Security, die bis Jahresende die letzten Objekte der abziehenden britischen Einheiten zu schützen hatten, als sein letztes „Kommando“ übernehmen zu dürfen.

Wolfgang Schiller, der ab 1993 die schwere Aufgabe zu vollziehen hatte, seinen Kameraden zu kündigen, stellte in einer Part-I-Order - auf die Demobilisierung der German Security Unit anspielend - fest: "Wenn der Zeitpunkt gekommen ist, werden wir mit Stolz und erhobenen Hauptes zurückblicken können". Und genau so wird er auch empfunden haben.

Als am 30. September, so ist es durch Zeugen überliefert, die letzten Guards der Einheit vor dem Kompanieblock antraten, um den scheidenden GSU-Chef zu verabschieden, agierte dieser schon fast abwesend. Er verließ Smuts Barracks, in der er als einer von lediglich zwei Einheitsangehörigen seit Aufstellung der GSU durchgängig gedient hatte, ohne sich ein einziges Mal umzudrehen.

Es verwunderte kaum, dass sich Schiller als Ruheständler vollkommen zurückzog und auch Treffen Ehemaliger nicht mehr beiwohnte. Es schien, als habe er mit dem „Abschnitt GSU“ abgeschlossen.

Von seiner Frau schon lange getrennt, genoss der frühere Staff Superintendent und passionierte Segler den Ruhestand mit seiner Lebensgefährtin in Spandau - jenen Bezirk, in dem er viele Jahrzehnte wirkte. Eines der wohl "wertvollsten" Erinnerungsstücke gibt es zur Person Schiller noch immer zu bewundern: Seine letzte Uniform befindet sich inzwischen im Eigentum eines Berliner Polizeisammlers, der diese temporär durch ein alliiertes Museum der Öffentlichkeit zugänglich macht.

Wolfgang Schiller selbst, einer der herausragenden Protagonisten der German Security Unit, steht als Zeitzeuge leider nicht mehr zur Verfügung. Im Dezember 2009 starb er völlig überraschend in seiner Wohnung. Er wurde 79 Jahre alt.
Grabstätte Schillers
"Wenn der Zeitpunkt gekommen ist, können wir mit Stolz und erhobenen Hauptes zurückblicken"
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